Operation erfolgreich, Patient tot – der blinde Fleck der Klimastrategie 2050 der liechtensteinischen Regierung

Mit der Klimastrategie 2050 erreicht die Regierung ihr Ziel, den Berichterstattungspflichten gemäss Art. 4 des Pariser Klimaübereinkommesn nachzukommen. Und sie erledigt ihre Aufgabe, die Lösung der grössten Herausforderung für die Menschheit nach unten an die einzelnen Menschen, die Humankapitalisten, weiterzureichen – so wie sie von der multilateralen Ebene auf die Nationalstaaten weitergereicht worden ist.

Wie wenig Erfolg von dieser Klimastrategie zu erwarten ist, zeigt sich insbesondere am Unterkapitel Sensibilisieren der Bevölkerung und der Wirtschaft im Kapitel Querschnittsfelder. Wenn nach über 30 Jahren Klimaschutzbemühungen – der Zusammenhang zwischen menschlichem Handeln und Erderwärmung wurde spätestens Ende der 1980er Jahre hinreichend nachgewiesen, weshalb 1992 die erste Klimakonferenz stattfand – die Bevölkerung und die Wirtschaft noch nicht über das entsprechende Wissen bezüglich Klimaschutz und Nachhaltigkeit verfügen, von dem gemäss Regierung der Erfolg dieser Klimastrategie wesentlich abhängt, dann fragt sich, worin dieses Wissen bestehen soll.

Zwar scheint einerseits klar zu sein, was das heisst, wenn die Regierung erklärt, dass «[i]n der Bildung […] das Wissen zum menschengemachten Klimawandel und seinen Folgen in die Ausbildung einfliessen [muss]» und «an den Berufsschulen und weiterführenden Bildungsinstitutionen […] die Vermittlung von fachspezifischen Kenntnissen zu Klima, Energie und Nachhaltigkeit wichtig [ist]». Andererseits spricht sie aber auch von – leider nicht über – «Sensibilisierungsarbeit». Was der Unterschied zur Wissensvermittlung sein soll, bleibt unbestimmt. Es könnte ähnlich sein wie bei Anti-Rauchen-Kampagnen, die darauf abzielen, das Wissen auch in Handeln umzusetzen. Aber einerseits besteht zwischen Rauchen und Klimawandel ein wesentlicher Unterschied und zwar in der Betroffenheit – lässt sich Passivrauchen doch auch mit mehr Sensibilität gegenüber Nichtraucher*innen wesentlich einschränken, während die Speicherung von Treibhausgasen nicht so einfach zu praktizieren ist.

Konsumsucht fordert Entzug

Andererseits besteht auch eine wesentliche Parallele: im Suchtcharakter. Der Gewöhnungseffekt unter anderem an das eigene Mobilitätsverhalten ist enorm – insbesondere steht das Privatauto wie die Zigarette für Freiheit. Diese Freiheit zeigt sich am stärksten daran, andere in ihrer Freiheit einschränken zu können – ihre Lebensgrundlage durch den Klimawandel oder ihre Gesundheit durch das aufgezwungene Passivrauchen (wie auch die schlechtere Luftqualität durch Autoabgase) zu gefährden. Um der Herausforderung gerecht zu werden, braucht es eine Entwöhnung vom eingelernten Verhalten, was aber nur in einem breiten Rahmen passieren kann. Über diesen Rahmen macht sich die Regierung jedoch keine Gedanken – oder teilt sie der Bevölkerung jedenfalls nicht mit. Schliesslich ist es ja auch ihr Ziel, den Berichterstattungspflichten nachzukommen, die diesen Rahmen vorgibt – oder einen Teil des Rahmens, es dürfen auch andere multilaterale Abkommen wie das WTO-Abkommen oder die Bedeutung der bilateralen Vereinbarungen insbesondere mit der Schweiz für Liechtenstein als Kleinststaat nicht vergessen werden.

Vor allem aber gesteht die Regierung dem gesellschaftlichen Rahmen kaum eine Bedeutung zu. Das Wissen um die Notwendigkeit zu Handeln, um dramatische Auswirkungen einer Erderhitzung zu vermeiden, wenn Kipppunkte erreicht werden, reicht so wenig aus wie das Wissen der Raucher*innen, mit ihrem Verhalten ihr Leben zu verkürzen – und das Wissen bewirkt nicht viel mehr, wenn sich Raucher*innen das bewusst machen.

Gegen das Recht des Stärkeren

Der Klimawandel ist – zumindest seitdem wir wissen, dass der Mensch dafür verantwortlich ist – ein Ausdruck des Rechts des Stärkeren: Diejenigen, die es können, verwenden die Atmosphäre als Senke für ihre Abfallprodukte, während vor allem diejenigen, die nichts oder kaum etwas zur Erderwärmung beitragen, mit den negativen Folgen umgehen müssen. Diese Perspektive zeigt, dass es sich beim Klimawandel nicht – nur – um ein technisches und/oder ökonomisches Problem handelt (oder in ein solches konvertierbar ist, da es technisch unmöglich ist, das Gemeingut Atmosphäre zu privatisieren), sondern um ein gesellschaftliches Problem. Bedeutend ist dabei vor allem die Frage der Gerechtigkeit.

Das atomisierte neoliberale Subjekt ist jedoch kaum in der Lage, Fragen der Gerechtigkeit zu debattieren, da es – sofern es die ethische Frage überhaupt als relevant akzeptiert und nicht als «Moralisiererei» abtut (Gerechtigkeit kommt weder in der Klimastrategie noch in der Klimavision vor) – zu sehr damit beschäftigt ist, sein eigenes Humankapital zu maximieren und eine Debatte über Gerechtigkeit kaum dazu beiträgt. Ein «entsprechendes Bewusstsein» – das wie oben ausgeführt wohl nicht weit über das (technisch-naturwissenschaftliche) Wissen hinausgeht – reicht nicht aus «für das Verständnis und eine breite Akzeptanz der Massnahmen», die tatsächlich nötig wären. Die Regierung geht mit ihrer Klimastrategie zwar über die Minimalanforderung einer Alibiübung gemäss Art. 4 des Pariser Klimaübereinkommens hinaus. Insbesondere ist hervorzuheben, dass neben dem Problem der Klimaerwärmung auch das zweite grosse und globale Umweltproblem des Artensterbens mitgedacht wird – aber kaum in der nötigen Konsequenz: Für eine erneuerbare Energiegewinnung und die Elektrifizierung des Verkehrs werden enorme Ressourcen benötigt, wollen die Menschen in ähnlichem Ausmass konsumieren wie bisher, was nicht ohne Raubbau an der Natur und den entsprechenden Folgen für Menschen, Tiere und Pflanzen zu bewerkstelligen sein wird. Der Begriff Suffizienz kommt jedoch im Dokument nur ein mal vor und implizit unter anderem bezüglich «nachhaltiges Mobilitätsverhalten in Richtung ÖV, Rad- und Fussverkehr».

Der Mythos der meritokratischen Gesellschaft

Glücklicherweise handelt es sich nicht ausschliesslich um eine ethische Debatte. Es geht auch darum, das liberale Versprechen einer meritokratischen Gesellschaft als Mythos zu entlarven, was die Sozialwissenschaften schon hinreichend geleistet haben. Selbstverständlich ist es dennoch keine leichte Aufgabe, diese Form von Bewusstseinsbildung voranzutreiben – sofern der Wille überhaupt vorhanden ist. Ein Hinaustreten aus der neoliberalen Rationalität erfordert eine Umbildung des Staates und der Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen, angefangen bei der Bildung, die sich (wieder) stärker daran orientieren müsste, demokratische Subjekte zu formen, anstatt dem Bedürfnis der Wirtschaft zu folgen und die MINT-Fächer als zentral zu erachten. Daran und an das oben ausgeführte anschliessend lässt sich auch eine ganz konkrete Massnahme formulieren: Die «Klimajugend» als bereits sensibilisierte Betroffenengruppe – die neben Menschen in Entwicklungsländern ein besonderes Interesse daran hat, dass sich etwas ändert, und genauso ohne formale Macht dasteht (und deshalb nur die Ethik als Werkzeug gegen das Recht des Stärkeren zur Verfügung hat) – sollte stärker in diesen Wandlungsprozess integriert werden. Aus klimapolitischer Sicht spricht alles für das Wahlalter 16, für eine Mitbestimmungsmöglichkeit jener Menschen, die die Folgen der gegenwärtigen (Klima-)Politik stärker werden tragen müssen als diejenigen, die jetzt entscheiden.

Trotz der Schwierigkeiten, die eine Transformation in eine andere Gesellschaft mit sich bringt, besteht Hoffnung. Denn da diese Debatte um globale Klimagerechtigkeit nicht losgelöst von Fragen zu einer gerechteren liechtensteinischen Gesellschaft vonstatten gehen kann, besteht auch die Chance, das gesellschaftliche Zusammenleben zu verbessern – auch wenn der Konsumentzug zuerst die Lebensqualität senkt, besteht die Aussicht auf eine bessere Weltbeziehung und Chancen für gelingendes Leben werden mehr Menschen geöffnet. Und es besteht auch Hoffnung, dass eine solche Debatte in Angriff genommen werden kann, schliesslich akzeptieren Mächtige grundsätzlich ethische Argumente – sofern sie von unethischem Verhalten betroffen sind. Ausserdem sind die Mächtigen und die Ohnmächtigen kaum voneinander getrennt, denn die kommenden Generationen gehen uns alle an.


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